eCash unsupported

Es war einmal ein Land, da brauchte man gar kein Bargeld mehr. Alles, immer und ueberall konnte man Waren und Dienstleistungen mit der Vorzeigung von einer kleinen Plastikkarte bezahlen. Niemand musste mehr an sogenannten Geldautomaten anstehen und zu…

Posted by eumel8 on July 15, 2017 · 5 mins read

Es war einmal ein Land, da brauchte man gar kein Bargeld mehr. Alles, immer und ueberall konnte man Waren und Dienstleistungen mit der Vorzeigung von einer kleinen Plastikkarte bezahlen. Niemand musste mehr an sogenannten Geldautomaten anstehen und zu horrenden Gebuehren Geld abheben. Niemand musste mehr tonnenschweres Wechselgeld in Muenzen mit sich rumschleppen. Es reichte diese kleine Plastikkarte. Und dieses Land hiess Polen
HIerzulande schwadronieren schon manche Politiker mit diesem Thema: Bargeld abschaffen! oder: Muenzgeld abschaffen! Ein weiteres billiges Wahlkampfthema? Die grosse Politik in EU und IWF haben es tatsaechlich auf der Agenda. Es gibt auch Webseiten, die sofort vehement dagegen kritisieren. Auch beim Focus gibt es ganze Nachrichtensammlungen ueber den Untergang des Abendlandes die Bargeldabschaffung. Dabei ist das doch schon lange Realitaet. Lohn, Gehalt, Miete, Strom - alles wird meist bargeldlos mittels Ueberweisung oder Dauerauftrag vom Girokonto eingezahlt bzw. abgezogen. Wer kennt denn heute noch die Lohntuete?

Lohntuete Espenhain

Im Einzelhandel und im Personennahverkehr gibt es sie aber noch, die Bastion des Bargeldes. Das letzte Stueckchen “Freiheit”, wie manche sagen. Aber wer schon mal mit einem 10-Euro-Schein vor einem Fahrkartenautomat stand, der nur Muenzgeld annimmt, kommt vielleicht zu dem Schluss, dass man soviel Freiheit eigentlich auch nicht moechte. Fahrkartenautomaten sind auch eher konservativ eingestellt und passen voll ins deutsche Weltbild. In unserem Dorf unserer Gemeinde (immerhin mit Bahnanschluss) gibt es nur einen Fahrkartenautomaten. Will man in die andere Richtung fahren, muss man erst durch die Unterfuehrung auf den Bahnsteig, wo der Automat wohnt, und kann dort mit Bargeld ODER EC-Karte mit Pin eine Fahrkarte kaufen. EC-Karte ist nicht selbstverstaendlich. Die LVB in Leipzig betreibt Automaten, die nur Muenzen oder die Geldkarte als Zahlungsmittel aktzeptieren (ohne Fahrschein keine Mitfahrt, das ist klar). Die Geldkarte, dieses Prepaid-Zahlungsmittel fuer Kleinbetraege, funtioniert genau so lange, wie die EC-Karte gueltig ist. Alle 2 Jahre muss man das Guthaben also leerraeumen. Und bei den Preisen fuer den Nahverkehr in Deutschland ist das Guthaben sowieso immer zu gering. Neuester Schrei ist dann eine Handy-App, die auch Fahrkarten verkauft (praktischerweise ueber die Handyrechnung). In Deutschland brauch man natuerlich eine App mit einem Account pro Verkehrsverbund. Ich kriege heute noch SMS vom RMV, weil die im Handyticket hiterlegte Kreditkarte nicht mehr gueltig ist. DIe Handyapp von BVG und VBB ist besonders “clever”: vertrauter Umgang auf dem Samsung Galaxy und dem Lumia. Bezahlfunktion in der Windows-Variante: Fehlanzeige! Das wurde nur fuer Android und IOS entwickelt. Das Aushaengeschild zwischen Energydrink und entlaufener Katze ist das Sinnbild unserer Gesellschaft:

EC-Karten-Zahlung erst ab 2 Euro. Meist ist das DOS-Kassensystem noch mit einem 1200-Baud-Modem verbunden und so dauert es 5 Minuten, bis der Zahlungsvorgang authorisiert ist. Vielleicht nimmt man die Wartezeit aber in Kauf, denn der Geldautomat der PSD-Bank um die Ecke ist eine boese Kostenfalle: 8,50 Euro Gebuehren fallen dort fuer eine Bargeldabhebung an. Hallo? Mir ist zwar klar, dass jemand in den Automaten Geld reintun muss und das Geraet auch gekauft werden muss und auch Strom kostet. Aber trotzdem muss ich ja nicht Teilhaber des Unternehmens werden, nur weil ich bischen Geld dort abheben will.

Das sind alles nur kleine Beobachtungen aus dem unmittelbaren Alltag in Deutschland. Wie auf Bestellung kam diese Nachricht heute hier: VISA sagt dem Bargeld den Kampf an. Nun, in Polen hat VISA das Land schon erobert: Egal ob im Hotel, im grossen Supermarkt oder im kleinen Spaetkauf, der Bauernstand mit regionalen Produkten oder die Softeisbude am Strand - das VISA-Zeichen ist allgegenwaertig und ueberall kann man bargeldlos bezahlen. Selbst in der Tatra-Strassenbahn faehrt ein Fahrkartenautomat mit, der eine Tageskarte fuer 14 Zloty verkauft - natuerlich mit VISA-Karte, kontaktlos, ohne PIN, denn das bietet VISA bei Betraegen bis 25 Euro auch hierzulande an.

“Um Deutschland steht es schlechter als gedacht” hiess es kuerzlich in der Welt. Der Artikel war dann doch etwas enttaeuschend oder brachte es zum Schluss nicht ganz auf den Punkt. Bloss wenn man nur das Thema eCash betrachtet, koennte man schon auf die Idee kommen, dass wir so ein bischen den Anschluss verloren haben. Die Abschaffung des Bargelds traegt genauso zum “glaesernen Buerger” bei wie die Benutzung von Google als Suchmaschine. Und genauso wird es den Leuten egal sein, wenn es nur ein bischen ihr Leben erleichtert.